Geschichte Standpunkt

Akademischer Widerstand im NS – Deutschland: Wissenschaftler, die die Zukunft schufen

Der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland ist ein Phänomen, das außerhalb von Fachkreisen nicht besonders bekannt ist. Dank Büchern und Filmen über die gescheiterte Operation „Walküre“ ist vielen die Verschwörung hochrangiger Militärs aus dem deutschen Adel gegen Hitler bekannt. Vielleicht haben einige auch von der studentischen Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ gehört, der die Geschwister Scholl angehörten, die von der Gestapo wegen der Verbreitung von Flugblättern hingerichtet worden sind. Doch tatsächlich gab es weitaus mehr Widerstandsnester: protestierende Jugendliche, Sozialdemokraten, christlicher Widerstand, organisierter Untergrund und verzweifelte Einzelkämpfer, die sich dem Regime entgegenstellten.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Lehrenden, die sich um mehrere Professoren der Universität Freiburg zusammenschloss, wird zu Recht als akademischer Widerstand bezeichnet. Sie bildeten drei Untergrundkreise, die Pläne für die Nachkriegsordnung Deutschlands entwickelten. Ihre antitotalitäre Konzeption stützte sich auf christliche Ethik und berücksichtigte sowohl wirtschaftliche als auch persönliche Freiheiten. Die Mitglieder der Freiburger Kreise standen in engem Kontakt mit anderen Gruppen des deutschen Widerstands und blieben trotz ständiger Aufdeckungsgefahr und Lebensbedrohung ihrem beruflichen und bürgerlichen Pflichtgefühl treu.

Der Niedergang

Deutsche Universitäten zeichneten sich traditionell durch ihre Unabhängigkeit aus und hielten sich an das Prinzip der Trennung von Wissenschaft und Politik, wodurch sie als Vorbild für Hochschulen in vielen Ländern dienten. Umso paradoxer ist es, dass sie nach der Machtergreifung im Jahr 1933 tatsächlich vor dem neuen Regime kapitulierten und keine nennenswerten Widerstandsversuche unternahmen. Im Gegenteil, die Universitäten wurden bereitwillig in den Prozess der Gleichschaltung (d.h. in die Umgestaltung aller Bereiche des öffentlichen Lebens nach nationalsozialistischer Ideologie) einbezogen und wurden zu einem integralen Bestandteil des Systems: Professoren traten massenhaft der Partei bei, und Studenten wandten sich begeistert der neuen Ideologie zu. Nur wenige äußerten offen Kritik: jüdische Dozenten, Pazifisten, Sozialisten und Demokraten, die in ihrem Protest kaum Unterstützung unter den Kollegen fanden.

Im April 1933 wurde das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erlassen, das dem Ziel diente, Juden und politisch Unerwünschte aus dem Staatsdienst zu entfernen. Zusammen mit der Ersten Verordnung zum Reichsbürgergesetz ermöglichte es, etwa 19,5 % des Lehrkörpers von deutschen Universitäten zu entlassen. Einige ausschieden aus dem Universitätssystem mit der Begründung „freiwilliger Rücktritt mit politischem Hintergrund“. Rund 60 % der Entlassenen emigrierten, einige der in Deutschland verbliebenen landeten in Lagern, wurden umgebracht oder begingen Selbstmord.

Am 11. November 1933 unterzeichneten über 900 Wissenschaftler und Lehrende eine zur Feier der „nationalsozialistischen Revolution“ verfasste „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“, die den Titel trug „Mit Adolf Hitler für des deutschen Volkes Ehre, Freiheit und Recht!“ Doch obwohl einige Dozenten sich tatsächlich mit dem neuen Regime identifizierten, waren die Teilnahme an solchen kollektiven Erklärungen und der Beitritt zur NSDAP für die Mehrheit ein Mittel, um sich selbst und ihre Universität vor Bedrohungen und Druck zu schützen; junge Wissenschaftler und Lehrende der „neuen Generation“ sahen darin eine gute Möglichkeit für den beruflichen Aufstieg und besetzten bereitwillig die frei gewordenen Stellen ihrer andersdenkenden Kollegen.

Die neue Hochschulverfassung, die im April 1935 in Kraft trat, schränkte die Hochschulautonomie maximal ein. Die Gremien der akademischen Selbstverwaltung verloren ihr Mitbestimmungsrecht. Der Rektor wurde zum „Führer der Hochschule“ erklärt und direkt dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung unterstellt. Dessen Leiter Bernhard Rust ernannte die Führer vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund und des Nationalsozialistischen Deutschen Dozentenbund; beide Organisationen waren institutionell nicht der Hochschulverwaltung, sondern der NSDAP angegliedert und beeinflussten ideologisch die Lehranstalten. Damit wurde die Freiheit von Wissenschaft und Bildung den ideologischen Vorgaben der Partei untergeordnet. Die Leitlinien für die Personalpolitik der Universitäten waren weniger die fachlichen Leistungen als vielmehr die Rasse und politische Loyalität der Lehrkräfte. Bald entstanden politisch relevante Lehrstühle: Rassenkunde, Eugenik, Volkskunde und Vorgeschichte usw.

Finis universitatum

Die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg wurde 1457 gegründet. Ihr Motto stammt aus dem Evangelium nach Johannes: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“ Anfang des 20. Jahrhunderts zählte die Universität etwa dreitausend Studierende, darunter viele bedeutende Intellektuelle, Schriftsteller und Dichter dieser Zeit: Walter Benjamin, Alfred Döblin und andere. Schon vor dem Untergang der Weimarer Republik gehörten mehrere wissenschaftliche Mitarbeiter und Absolventen der Universität zu den Nobelpreisträgern. Der Ruf der Universität wurde von ihren berühmten Professoren geprägt, darunter die Historiker Friedrich Meinecke und Max Weber sowie später die wenigen liberalen Dozenten, die sich offen gegen den Nationalsozialismus aussprachen.

Der NSDAP-Kandidat für das Rektorenamt der Universität Freiburg wurde der Philosoph Martin Heidegger. Der Sozialdemokrat Wilhelm von Moellendorff, der Ende 1932 gewählt worden war, blieb kaum fünf Tage im Amt und trat unter dem Druck der NSDAP zurück: Am Tag nach der ersten von ihm geleiteten Senatssitzung wurde er in dem NS-Kampfblatt „Der Alemanne“ heftig angegriffen – man forderte ihn auf, „der Neuordnung der Hochschule nicht im Wege zu stehen“. Moellendorff selbst schlug Heidegger zu seinem Nachfolger vor. Die Plenarversammlung wählte ihn fast einstimmig – von 93 Professoren waren 13 als Juden ausgeschlossen, 24 blieben der Wahl fern, zwei Enthaltungen gab es und eine Gegenstimme. Am 21. April 1933 wurde Martin Heidegger zum Rektor der Universität Freiburg ernannt, und am 1. Mai folgte sein Eintritt in die NSDAP.

Martin Heidegger

Seine Rektoratsrede „Die Selbstbehauptung der deutschen Universität“ vom 25. Mai 1933 markierte den Wandel der Hochschule zu einer vorbildlichen NS-Institution, die dem strikten „Führerprinzip“ untergeordnet war. Heidegger erklärte, „die vielbesungene »akademische Freiheit« wird aus der deutschen Universität verstoßen“. Das studentische Dasein sollte durch Arbeits-, Wehr- und Wissensdienst“ geprägt sein. Dabei wurden Arbeits- und Wehrdienst im obligatorisch abzuleistenden Wehrsport zusammengefasst.

Schon 1916 schrieb Heidegger in einem Brief an seine Frau: „Die Verjudung unserer Kultur und Universitäten ist allerdings schreckenerregend und ich meine die deutsche Rasse sollte noch so viel innere Kraft aufbringen, um in die Höhe zu kommen.“ Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich an der Universität die NS-Ideologie durchsetzte und rassistische Säuberungen eingesetzt wurden: Jüdische und politisch unliebsame Professoren wurden entlassen, jüdische Studierende allmählich ausgeschlossen. „Nichtarier“ wurden die Doktorgrad entzogen, und „undeutsche Literatur“ wurde aus den Bibliotheken entfernt.

Prorektor Josef Sauer schrieb: „Finis universitatum (das Ende der Universitäten)! Und das hat uns dieser Narr von Heidegger eingebrockt, den wir zum Rektor gewählt haben, daß er uns die neue Geistigkeit der Hochschulen bringe. Welche Ironie!“ Bereits am 13. Mai beklagte sich der Nationalökonom Walter Eucken bei Sauer (der dies in sein Tagebuch schrieb), Heidegger „fühle sich offenbar als der… geistige Führer der neuen Bewegung, als der einzige große und überragende Denker seit Heraklit“.

Konfrontation

Walter Eucken wurde in eine bildungsbürgerliche protestantische Familie hineingeboren. Sein Vater war der Philosoph und Nobelpreisträger Rudolf Eucken, sein Bruder Arnold war Professor für Physikalische Chemie und einer der führenden deutschen Wissenschaftler der Zwischenkriegszeit. Walter war eine akademische Karriere vorbestimmt, und er entschied sich für eine relativ neue Wissenschaft der Nationalökonomie, die er parallel zu Geschichte und Rechtswissenschaft an den Universitäten Kiel, Bonn und Jena studierte. 1921 habilitierte sich Eucken; schon damals zeigte sich seine Neigung zur Theoriebildung, und er wurde zum Gegner der historischen Schule, die das Vorhandensein objektiver ökonomischer Gesetzmäßigkeiten leugnete. In dieser Zeit entstanden seine vertrauensvollen Beziehungen zu Kollegen und zukünftigen Freunden wie Alexander Rüstow und Wilhelm Röpke: zusammen gehörten sie zum Kreis der „Deutschen Ricardianer“.

Walter Eucken

Der Wirtschaftswissenschaftler Alexander Rüstow emigrierte 1933 in die Türkei, nachdem die Gestapo seine Wohnung durchgewühlt hatte. Die türkische Republik unter Kemal Atatürk nahm exilierte deutsche Professoren am Bosporus gerne auf, und Rüstow wurde auf einen Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Wirtschaftsgeschichte an die Universität Istanbul berufen. Außerdem war er Mitglied des Deutschen Freiheitsbundes (DFB), einer Vereinigung von Exil-Deutschen, hauptsächlich Wissenschaftlern, die Pläne zur Demokratisierung des Nachkriegsdeutschlands entwickelten. Diesem Verein gelang es nicht, die westlichen Alliierten für die Idee einer internationalen Organisation deutscher Emigranten zu gewinnen, doch sie erregte die Aufmerksamkeit des Office of Strategic Services (OSS) der USA. Infolgedessen wurde Alexander Rüstow zum Agenten (Deckname „Magnolia“), der die Kommunikation zwischen dem OSS und dem deutschen Widerstand sicherstellte.

Der Wirtschaftsprofessor Wilhelm Röpke verbarg seine Ansichten nie: schon 1930 vor den Reichstagswahlen verteilte er Flugblätter, die die Bauern Niedersachsens davor warnten, für die NSDAP zu stimmen. «Niemand, der nationalsozialistisch wählt, soll später sagen können, er habe nicht gewusst, was daraus entstehen könne. Er soll wissen, dass er Chaos statt Ordnung, Zerstörung statt Aufbau wählt!» Nach der Machtergreifung wurde Röpke nur dank des Eingreifens von Kollegen sowie der in der Anfangsphase der NS-Diktatur partiell noch rechtsförmigen Verwaltungspraxis nicht entlassen; stattdessen wurde er „beurlaubt“. Im Exil konnte er die Ausbürgerung vermeiden. Röpke gehörte zu den ersten Professoren in Deutschland, die ihres Amtes enthoben wurden; der mit ihm entlassene Sprachwissenschaftler Hermann Jacobson nahm sich bald darauf das Leben. 1933 verließ Röpke Deutschland und nahm eine Stelle an der Universität Istanbul an, 1937 wechselte er in die Schweiz, wo als Professor am Genfer Hochschulinstitut für internationale Studien arbeitete.

1927 erhielt Eucken einen Ruf an die Universität Freiburg, wo er auf ein Lehrerkollegium traf, das ihm geistig nahe stand. Adolf Lampe, Hans Großmann-Doerth, Franz Böhm und andere bildeten eine Gruppe Wissenschaftler, die Freiburg zur innovativsten deutschen Universität im Bereich der Wirtschaftswissenschaften jener Zeit machten. Die Zusammenarbeit mit ihnen entwickelte sich schnell zur persönlichen Freundschaft.

Walter Eucken wurde sofort zum Hauptgegner Heideggers und Sprecher der „latenten Opposition im Senat“. In der ersten Sitzung kritisierte er den Rektor wegen der Angriffe auf Mitglieder der jüdischen Studentenverbindung Neo-Friburgia, in der zweiten forderte er die Reduzierung des Umfangs des Wehrsports, dessen ungeordnete Durchführung den Lehrbetrieb störe.

Im Mai 1934 trat Heidegger als Rektor zurück, zu seinem Nachfolger ernannte das Ministerium den Juristen Eduard Kern. Eucken berichtet seinem Freund Alexander Rüstow, es habe sich inzwischen „an der Universität vieles gebessert“. Dennoch setzte er seinen konsequenten Widerstand gegen die Faschisierung der Universität und die Verzerrung der Wirtschaftswissenschaft fort, trotz hoher Risiken: Euckens Frau, die Schriftstellerin Edith Eucken-Erdsiek, galt in der NS-Terminologie als eine „Halbjüdin (später schloss sie sich ebenfalls der Tätigkeit ihres Mannes an). Der NS-Dozentenbund forderte, ihm die venia zu entziehen, konnte sich jedoch nicht durchsetzen.

Im Sommersemester 1936 hielt Walter Eucken eine öffentliche Vorlesungsreihe unter dem Titel „Der Kampf der Wissenschaft – dargestellt am Lebenswerk großer Denker“. Am Beispiel von Sokrates, Galilei und Spinoza erläuterte er, wie die Wissenschaft nach Wahrheit streben müsse, und hielt eine Rede gegen Tyrannei und Machtmissbrauch. Euckens sorgten in Freiburg für großes Aufsehen, und trotz Angriffe von der Studentenzeitschrift und mehrere Störmanöver des NS-Studentenbundes, zogen sie so viele Zuhörer an, dass sie in den größten Hörsaal der Universität verlegt werden mussten. Diese Vorlesungen Euckens wurden zum Treffpunkt der Gegner des Hitler-Regimes.

Ordo

Von noch größerer Bedeutung war jedoch die konsequente Arbeit an der Bildung einer organisierten universitären Opposition, die in der Lage sein würde, die aktuelle Situation kritisch zu reflektieren und vor allem Prinzipien für das wirtschaftliche und soziale Leben „danach“ zu entwickeln, um eine Zukunft ohne Totalitarismus zu schaffen, an die alle glauben wollten. Gemeinsam mit den Juristen Franz Böhm und Hans Großmann-Doerth organisierte Eucken 1933 interdisziplinäre Seminare für Studierende und Dozenten, in denen Probleme der Zusammenballung wirtschaftlicher Macht und Möglichkeiten der institutionellen Umgestaltung der Wirtschaft diskutiert wurden. Diese Seminare legten den Grundstein der „Freiburger Schule“ der Nationalökonomie, die die theoretischen Grundlagen des Ordoliberalismus – einer deutschen Arte des Neoliberalismus – entwickelte.

Das Nebeneinander von Freiheit und Ordnung (lateinisch ordo „Ordnung“) ist eine der Schlüsselideen des Ordoliberalismus. In Bezug auf die Wirtschaft kristallisierte sich diese Idee in der Notwendigkeit heraus, einen sogenannten „dritten Weg“ zu wählen. Die Ordoliberalen lehnten Wirtschaftsordnung ab, die Machtkonzentration (Vermachtung) begünstigen – sei es in den Händen des Staates, wie in einer Zentralverwaltungswirtschaft, oder in den Händen von Monopolen, die beim Laissez-faire-Liberalismus entstehen, – und schlugen stattdessen ein alternatives sozioökonomisches Modell vor. Der Schlüssel zur Wirksamkeit eines solchen Modells sollte ein starker Staat sein, der optimale Rahmenbedingungen für das Funktionieren der Wirtschaft schafft (d.h., eine Ordnungspolitik betreibt), sich jedoch nicht in die Wirtschaftsprozesse einmischt (keine direkte Einflussnahme auf den Markt durch Prozesspolitik ausübt).

Eucken entwickelte die Grundprinzipien einer Wettbewerbsordnung. Zu den konstituierenden Prinzipien zählte er einen funktionsfähigen Preismechanismus, den Primat der Währungspolitik (die Stabilität des Geldwertes), offene Märkte, Privateigentum, Vertragsfreiheit, persönliche Haftung aller Wirtschaftsteilnehmer und eine Konstanz der Wirtschaftspolitik – genau mit diesen Prinzipien gelang es Ludwig Erhard in den Nachkriegsjahren die Rahmenbedingungen der neuen Wirtschaftsordnung zu errichten. Die vier ergänzenden regulierenden Prinzipien weisen auf Bereiche hin, in denen staatliches Eingreifen bei Marktverzerrungen zulässig ist: Monopolkontrolle, eine ausgewogene Einkommenspolitik (Umverteilung), die Korrektur externer Effekte und Maßnahmen gegen anormale Angebotsreaktionen (insbesondere auf dem Arbeitsmarkt). Dabei trennte Eucken die Sozialpolitik nicht ab, da er glaubte, dass sie Teil der Ordnungspolitik sein müsse, während klassische Sozialpolitik (z. B. Pflichtversicherung) die Freiheit des Individuums einschränkt und es vom Staat abhängig macht. Das Konzept des Ordoliberalismus ging weit über die Wirtschaft hinaus und hatte soziale, politische und ethische Dimensionen: der freie Wettbewerb war untrennbar mit individueller Freiheit und Verantwortung sowie mit einer antitotalitären Ideologie verbunden.

1936 veröffentlichten drei Wissenschaftler das Ordo-Manifest „Unsere Aufgabe“, und 1939 entstand Euckens Hauptwerk „Die Grundlagen der Nationalökonomie“, in dem er jede Form der Planwirtschaft kritisierte und deren Entstehung mit dem Vorhandensein einer Diktatur in Verbindung brachte. Das Buch wurde heimlich aus Deutschland nach Großbritannien geschmuggelt, wo sich der österreichische Ökonom und Libertäre Friedrich von Hayek zu dieser Zeit im Exil aufhielt. Nach der Lektüre war er erstaunt, dass ein solches wissenschaftliches Freidenken unter dem Nationalsozialismus noch möglich war.

1936 wurde Gemeinschaftsseminar auf politischen Druck hin aufgegeben, aber tatsächlich wurde es jedoch im Rahmen des Seminars »Der Einzelne und die Gemeinschaft« fortgesetzt, das der emeritierte Nationalökonom, Freiburger Professor für Volkswirtschaftslehre Karl Diehl 1934 veranstaltet hatte. Bis zu Diehls Tod im Jahre 1943 fand das Seminar mittwochs in der Wohnung des Professors statt. So gelang es den dissentierenden Universitätslehrer, Debattierzirkeln zu tarnen und die Genehmigungspflicht von Veranstaltungen zu unterlaufen (das 1934 verabschiedete Sammlungsgesetz verlangte für nahezu jede öffentliche Veranstaltung eine Genehmigung der zuständigen Behörden). Bei den Diehls Seminaren versammelten sich vertrauenswürdige Kollegen zur Zusammenarbeit; den eigentlichen Seminaren folgte jedesmal eine ungezwungene Unterhaltung und die politischen Ereignisse besprochen wurden. Diese Gruppe, zu der Jurist, Volkswirt und Theologe Constantin von Dietze, Historiker Gerhard Ritter, Walter Eucken und seine Frau gehörten, wurde später zum Kern der Freiburger Kreise.

Von Dietze lehrte an der Friedrich-Wilhelms-Universität (heute Humboldt-Universität zu Berlin) und war ein aktives Mitglied der Bekennenden Kirche – einer Oppositionsbewegung evangelischer Christen, die sich gegen die Gleichschaltung der Kirche mit dem NS-Staat wehrte. 1937 wechselte von Dietze wegen des nationalsozialistischen Einflusses an der Berliner Universität an die Universität Freiburg und wurde noch im selben Jahr erstmals von der Gestapo für zwei Wochen verhaftet. Seit 1935 war von Dietze Vorsitzender des Vereins für Socialpolitik, der Wirtschaftswissenschaftler aus dem deutschsprachigen Raum in Europa vereinte; 1936 führte er die Organisation in die Selbstauflösung, um die Gleichschaltung zu vermeiden. Von Dietze stand auch in Kontakt mit dem Politiker und einem der führenden zivilen Köpfe der Widerstandsbewegung Carl Goerdeler und dem Juristen Graf Yorck von Wartenburg, durch die er maßgeblich die Agrarpolitik des Kreisauer Kreises beeinflusste.

Der Kreisauer Kreis vereinte oppositionelle Intellektuelle unterschiedlicher politischer Ansichten und Konfessionen, die die Grundlagen der sozialen und politischen Ordnung Deutschlands nach dem Sturz des NS-Regimes entwickeln wollten. Die nach Fachgebieten gebildeten Arbeitsgruppen (Wirtschaft, Recht, Außenpolitik, Bildung usw.) trafen sich auf dem Gut Kreisau, das dem Begründer des Kreises, dem Juristen Helmuth James Graf von Moltke, gehörte. Die erzielten Ergebnisse der Kreisauer Tagungen wurden in dem Schriftstück „Grundsätze für die Neuordnung“ zusammengefasst, das einen Verfassungsentwurf darstellte. Moltke war für die Abwehr tätig, die Nachrichtendienst der deutschen Wehrmacht, wo unter Admiral Wilhelm Canaris auch eine Widerstandsgruppe entstand, die Juden zur Flucht half und Attentate auf Hitler vorbereitete. Im Juli 1943 traf Moltke in der Türkei mit dem neoliberalen Wissenschaftler und zugleich US-Agenten Alexander Rüstow zusammen, um den westlichen Alliierten einen Bericht über die Lage in Deutschland und der Widerstandsbewegungen zu erstatten.

Aktion

Die Ereignisse des 9. November 1938, als eine Welle antisemitischer Pogrome ganz Deutschland erschütterte, trafen die Freiburger Professoren zutiefst. Gerhard Ritter schrieb an seine Mutter: «Was wir in den letzten beiden Wochen erlebt haben …, ist das Beschämendeste und Schrecklichste, was seit langen Jahren geschehen ist. Wohin sind wir gekommen!!! … Diese Schreckenswoche wird nicht so leicht wieder vergessen werden. Ach wenn man hoffen könnte, daß es der Anfang würde einer inneren Umkehr und Besinnung bei denen, die für das alles verantwortlich sind! Aber kann man das ernstlich hoffen.»

In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurde auch die Freiburger Synagoge in Brand gesetzt. Der Feuerwehr wurde verboten, den Synagogenbrand zu löschen, und am nächsten Morgen sprengten SS- und SA-Männer die noch brennenden Ruinen. Unter dem Eindruck dieser schrecklichen Ereignisse gründeten Lampe, von Dietze und Eucken den Freiburger Konzil – den ersten der Freiburger Kreise und die einzige Widerstandsgruppe, die als Reaktion auf die Pogrome der „Reichskristallnacht“ entstand. Dem Kreis gehörten auch Gerhard Ritter, der Physiker Gustav Mie, die Ehefrauen der Wissenschaftler und eine Reihe protestantischer und katholischer Pfarrer an. Die erste Sitzung des Konzils fand im Dezember 1938 im Haus der Familie Lampe statt. Bei den bis 1944 fortgesetzten Treffen wurden Fragen des christlichen Widerstandsrechts und die Aufgaben der Christen und der Kirche angesichts des totalitären Regimes diskutiert. Die Ergebnisse dieser Gespräche wurden in der Denkschrift „Kirche und Welt“ verfasst.

Constantin von Dietze

Die Mitglieder des Kreises standen der Bekennenden Kirche nahe und nahmen über die in den Konzil eingebundenen Pfarrer Kontakt mit deren führenden Theologen und wichtigsten Vertreter des christlichen Widerstands, Dietrich Bonhoeffer, auf. Dank seines Schwagers Hans von Dohnanyi, der für Admiral Canaris arbeitete, wurde Bonhoeffer 1940 Abwehragent, was ihm ermöglichte, ungehindert in die Schweiz, nach Norwegen, Schweden und andere europäische Länder zu reisen, wo er mit Widerstandsanhänger kommunizierte. 1942 traf Bonhoeffer in Schweden mit George Bell, dem Bischof von Chichester, um die Engländer davon zu überzeugen, dass eine neue deutsche Regierung nach dem geplanten Sturz Hitlers, in der Lage sei, alle internen Probleme selbstständig zu lösen, wenn man ihr nur Zeit gäbe. Bonhoeffer wandte sich an Constantin von Dietze mit der Bitte, eine Programmschrift für die Weltkirchenkonferenz zu erstellen, die die anglikanische Kirche nach Kriegsende abhalten wollte. Dieses Dokument sollte Prinzipien für die Gestaltung des öffentlichen Lebens sowie Grundsätze einer gesunden, auf christlicher Grundlage ruhenden Außen- und Innenpolitik enthalten.

Eine Arbeitsgruppe, der ursprünglich nur die Wirtschaftswissenschaftlern Eucken, Lampe und von Dietze sowie dem Historiker Ritter angehörten, begann unverzüglich unter vollständiger Geheimhaltung mit der Arbeit an der Programmschrift. Diese Phase der Tätigkeit der Freiburger Opposition wird üblicherweise als „Bonhoeffer-Kreis“ bezeichnet.

Dietrich Bonhoeffer

Der Haupttext wurde von Gerhard Ritter verfasst. Die Autoren des Anhangs 4 (Wirtschafts- und Sozialordnung), der sich mit der Entwicklung einer ordoliberalen Wirtschaft befasste, waren die drei Nationalökonomen, während Anhang 1 (Rechtsordnung) von den Juristen Franz Böhm und Erik Wolf erarbeitet wurde. Vom 17. bis 19. November 1942 fand im Haus von Dietze eine Geheimtagung des Kreises statt, auf der der Entwurf der Denkschrift gründlich überarbeitet und ergänzt wurde. Mit aktiver Beteiligung von Berliner Kollegen wurde das Dokument im Januar 1943 abgeschlossen: die 130-seitige Denkschrift erhielt den Titel „Politische Gemeinschaftsordnung – Ein Versuch zur Selbstbesinnung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit“. Aus Sicherheitsgründen wurden nur drei Exemplare gedruckt. Ein Exemplar versteckte Ritter auf einem Bauernhof im Südschwarzwald, wodurch es bis heute erhalten geblieben ist.

Die dritte Gruppe war die Arbeitsgemeinschaft Erwin von Beckerath. Der Bonner Nationalökonom Professor von Beckerath leitete die »Arbeitsgemeinschaft Volkswirtschaftslehre« die auf Initiative des Professors Jens Jessen (einem aktiven Widerstandskämpfer seit 1939) im Rahmen der Klasse IV (einer Forschungseinheit) innerhalb der Akademie für Deutsches Recht gegründet wurde. An der Gruppe waren Freiburger wie Eucken, Lampe, von Dietze und Böhm sowie der Kölner Finanzwissenschaftler Günter Schmölders, der wirtschaftlicher Berater des Kreisauer Kreises, beteiligt. Die Publikationen der Wissenschaftler zeichneten sich durch fachlichen Radikalismus aus: 1941 wurde ein Sammelband mit Referaten aus der Klasse IV veröffentlicht, in dem Eucken offen erklärte, dass er NS-Zentralverwaltungswirtschaft für einen Irrweg halte und zu einer „völligen Umgestaltung“ der Wirtschaftsordnung nach dem Krieg aufrief. Es ist erstaunlich, wie ein solcher Artikel die bereits kriegsbedingte Zensur des Reiches passieren konnte. Euckens Freund und Kollege Wilhelm Röpke rezensierte die Anthologie in der „Neue Zürcher Zeitung“ und bemerkte, dass die Veröffentlichung offen das „Fiasko der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik“ aufdeckte.

Es ist offensichtlich, dass der Ton der Publikationen der Klasse IV den Behörden nicht verborgen blieb, und 1943 wurde die Gruppe als „nicht kriegswichtig“ aufgelöst. Daraufhin entstand die Arbeitsgemeinschaft Erwin von Beckerath, die weiterhin wirtschaftliche Diskussionen in den Privathäusern der Teilnehmer in Freiburg, Jena und Bad Godesberg führte. Die Wissenschaftler hielten etwa zehn Sitzungen ab, bei denen mehr als 60 Berichte und Gutachten verfasst wurden; in 40 von ihnen wurde die Notwendigkeit einer Währungsreform gefordert. Die Autoren äußerten Besorgnis über die Stabilität des Geldwertes (ein Schlüsselprinzip des ordoliberalen Modells): die unkontrollierte Geldemission für Kriegszwecke in Verbindung mit Preisstopp und einer strengen staatlichen Kontrolle der Industrieproduktion führten zu einer Inflationsgefahr, die mit der Finanzkatastrophe von 1923 vergleichbar war. Um diese bei der Freigabe der Preise zu vermeiden, forderten Lampe und Eucken die Beseitigung überschüssiger Geldmengen durch eine Währungsreform. Diese wiederum war untrennbar mit einer Wirtschaftsreform verbunden: während die Währungsreform ein Gleichgewicht zwischen Warenmengen und Geldmengen sicherstellte, würde die Wirtschaftsreform durch die Preisliberalisierung objektive Marktindikatoren für die Selbstregulierung der Wirtschaft zurückbringen.

Karl Goerdeler nahm mehrmals an den Sitzungen der Arbeitsgruppe teil, doch nicht alle Teilnehmer wussten, dass ihr Kollege in die Vorbereitung eines Staatsstreichs beteiligt war und dass Adolf Lampe jeweils ein Exemplar jedes Berichts der Gruppe an Goerdeler und über von Wartenburg an den Kreisauer Kreis schickte. Trotz der geschickt verschleierten wahren Ziele ihrer Arbeit setzten sich die Wissenschaftler großen Gefahren aus. Jegliche Nachkriegsplanung als Defätismus oder Zweifel am „Endsieg“ betrachtet und nach 1942 mit „Wehrkraftzersetzung“ gleichgesetzt – einem Verbrechen, das mit dem Tode bestraft wurde.

Opfer

Das misslungene Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 und der gescheiterte Staatsstreich, der von hochrangigen Offizieren der Wehrmacht und der Abwehr vorbereitet worden war, hatten die tragischsten Folgen für alle Mitglieder des deutschen Widerstands.

Die Verfolgung der militärischen Verschwörer und aller, die mit ihnen in Verbindung stehen könnten, dauerte viele Monate an. In dieser Zeit verhaftete die Gestapo zwischen fünf- und siebentausend Menschen. Über 700 Personen wurden vor Gericht gestellt, etwa 200 wurden getötet oder kurz nach dem Attentat hingerichtet, weitere 5000 wurden im August 1944 im Rahmen der „Aktion Gitter“ verhaftet. Diese richtete sich gegen ehemalige Politiker der Weimarer Republik, Liberale, Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter – kurz gesagt, gegen alle, deren Zuverlässigkeit in Frage gestellt wurde.

Karl Goerdeler wurde im August 1944 verhaftet und im Februar 1945 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee gehängt, wo politische Gefangene inhaftiert und hingerichtet wurden. Doch zunächst nannte er unter Folter die Namen von Dietze und Lampe. Sie wurden im September verhaftet und ins Gefängnis Berlin-Moabit gebracht, wo sie verhört und grausam gefoltert wurden, weil die Gestapo und SS die Namen weiterer Mitglieder des Freiburger Widerstands erpressen wollten. Sie wurden vor dem Volksgerichtshof im April 1945 gestellt und der Mitschuld an der „Putschvorbereitungen des Verräters Goerdeler und seiner Hintermänner“ angeklagt. Ihre Mitschuld bestand darin, Pläne für die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Umgestaltung Deutschlands zu entwickeln. Die Angeklagten wurden des Hochverrats für schuldig befunden und zum Tode verurteilt.

Gerhard Ritter wurde im November gefangen genommen und zunächst in das Konzentrationslager Ravensbrück gebracht, später ins Gefängnis Berlin-Moabit überstellt. Genau wie seine Kollegen wurde er zum Tode verurteilt.

Gerhard Ritter

Von Dietze, Lampe und Ritter entgingen dem Tod nur, weil die sowjetischen Truppen Berlin besetzten und sie im ausgebrochenen Chaos fliehen konnten. Adolf Lampe starb kurz nach Kriegsende an den Folgen der Folter und der schrecklichen Haftbedingungen.

Walter Eucken wurde Ende 1944 zweimal von der Gestapo verhört, und ihm wurde ebenfalls mit Folter gedroht. Eucken gelang es durch ein Wunder, einer Anklage zu entgehen, indem er seine Zeugenaussagen mit den im Berliner Gefängnis inhaftierten Kollegen abstimmte; dabei half ihm der Student Heinrich Kullmann, der heimlich Kassiber ins Gefängnis schmuggelte.

Professor Jens Jessen wurde im Oktober 1944 verhaftet, Anfang November vor das Sondergericht gestellt, wegen „Nichtanzeige eines hochverräterischen Unternehmens“ zum Tode verurteilt und im Gefängnis Plötzensee gehängt.

Franz Böhm, der in allen drei Kreisen angehörte, entging durch Zufall der Verhaftung. Bei einem Verhör unter Folter nannte ihn einer seiner Kollegen absichtlich oder versehentlich als „Pfarrer Böhm“. Daher ist es möglich, dass stattdessen zwei Namensvetter verhaftet wurden: Pfarrer Franz Boehm, der im KZ Dachau starb, und Pfarrer Hans Böhm, der zur Bekennenden Kirche gehörte, aber kurz vor Kriegsende freigelassen wurde.

Dietrich Bonhoeffer und Hans von Dohnanyi wurden bereits im April 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung“ verhaftet, später wurde ihre Beteiligung am Attentat vom 20. Juli aufgedeckt. Sie wurden wie Admiral Canaris am 9. April 1945 gehängt.

Freund Bonhoeffers, der Jurist Friedrich Justus Perels, der ebenfalls zu den Freiburger Kreisen gehörte, wurde im Oktober 1944 wegen „Nichtanzeige ihm bekannter Umsturzpläne und wegen illegaler Tätigkeit für die Bekennende Kirche“ verhaftet. Perels wurde zum Tode verurteilt und am 23. April 1945 erschossen.

Helmuth James Graf von Moltke, der Gründer des Kreisauer Kreises, wurde im Januar 1944 verhaftet und im Januar 1945 zum Tode verurteilt und im Gefängnis Plötzensee gehängt.

Peter Graf Yorck von Wartenburg, der dem Kreisauer Kreis angehörte und eng mit den Verschwörern zusammenarbeitete, wurde am 20. Juli 1944 verhaftet, am 8. August zum Tode verurteilt und am selben Tage auf ausdrücklichen Befehl Hitlers im Gefängnis Plötzensee gehängt.

Neuanfang

Nach drei Jahren politischer Vergessenheit und Verderben erhielt Deutschland – zumindest der westliche Teil, die sogenannte Trizone – die Chance, wieder staatliche Souveränität zu erlangen und eine grundlegend neue politische und sozioökonomische Ordnung aufzubauen. Die Pläne zur Umgestaltung Deutschlands, die die Freiburger Ordoliberalen während der Hitler-Diktatur entwickelt hatten, ohne auf ihre baldige Umsetzung zu hoffen, fanden ihren Niederschlag in den Reformen Ludwig Erhards, des „Vaters des deutschen Wirtschaftswunders“ und des ersten Bundeswirtschaftsministers Deutschlands.

Bereits vor der Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland wurde im Juni 1948 eine Währungsreform durchgeführt, bei der die entwerteten Reichsmark gegen neue Deutsche Mark eingetauscht wurden. Es folgten Maßnahmen zur Preisliberalisierung und die Steuerreform. Das im Mai 1949 verabschiedete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland legte die Voraussetzungen für die Errichtung der Sozialen Marktwirtschaft fest, darunter Freiheit der Person, Freiheit der Berufswahl, Eigentumsrechte usw. Schließlich wurde 1957 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verabschiedet, das den ordoliberalen Ideen einen rechtlichen Rahmen gab.

„Mit der wirtschaftspolitischen Wendung von der Zwangswirtschaft hin zur Marktwirtschaft haben wir mehr getan als nur eine engere wirtschaftliche Maßnahme in die Wege geleitet; wir haben damit unser gesellschaftswirtschaftliches und soziales Leben auf eine neue Grundlage und vor einen neuen Anfang gestellt“, erklärte Erhard auf dem CDU-Parteikongress im August 1948.

Mit einer stabilen Währung und einer neuen rechtlichen Grundlage trat die deutsche Volkswirtschaft in die Ära ein, die als „Wirtschaftswunder“ bekannt ist und bis Mitte der 1960er Jahre andauerte. Das durchschnittliche jährliche BIP-Wachstum in den 1950er Jahren betrug 8,2 %, 1955 erreichte das Wirtschaftswachstum 12,1 %. Die Arbeitslosenquote sank bis 1961 auf 0,8 %, sodass von Vollbeschäftigungssituation gesprochen werden konnte. Gleichzeitig betrug das durchschnittliche jährliche Produktivitätswachstum in diesem Zeitraum 7,3 %, was vor allem auf strukturelle Verschiebungen hin zu FuE-intensiven Industrien zurückzuführen war. Das außergewöhnliche Wirtschaftswachstum ermöglichte es den deutschen Reformern, ihr Hauptziel zu erreichen – die Lebensqualität der Bevölkerung zu verbessern.

Die Soziale Marktwirtschaft wurde durch die wirtschaftstheoretischen Vorstellungen der Freiburger Schule, der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, des Soziologischen Neoliberalismus (oder Wirtschafts- und Sozialhumanismus) und des Urhebers des Begriffs „Soziale Marktwirtschaft“ – Alfred Müller-Armack geprägt.

Die Wissenschaftler, die den Krieg und die Repressionen überlebten, spielten eine aktive Rolle beim Aufbau der neuen Wirtschaftsordnung im Nachkriegsdeutschland. Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft von Beckerath wurden zu geachteten Ratgebern der Regierung. Sechs Mitglieder der Freiburger Kreise – Eucken, Lampe, von Beckerath, Böhm, Erich Preiser und Theodor Wessels – traten 1948 in den wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums ein, dessen Vorsitz von Beckerath von 1950 bis 1964 übernahm.

Walter Eucken beriet die französische und amerikanische Militärregierung und fungierte später als Berater Ludwig Erhards, wobei er erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung des neu gegründeten deutschen Staates ausübte. Er plädierte für die Währungsreform, die Preisfreigabe sowie für die Aufhebung der Bewirtschaftungsmaßnahmen. Gleichzeitig kritisierte Eucken einige wirtschaftspolitische Maßnahmen der ersten Regierung Konrad Adenauers, da er in ihnen wettbewerbsfeindliche Tendenzen erblickte. 1947 wurde er einer der Mitbegründer der Mont Pèlerin Society, die von F.A. von Hayek ins Leben gerufen wurde und 39 liberal orientierte Wissenschaftler vereinte, die sich für Frieden, Freiheit und Menschenwürde einsetzten. Zusammen mit Franz Böhm gründete Eucken 1948 ORDO-Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, das bis heute eine Plattform für ordoliberale Diskussionen ist. «Wenn Westdeutschland wenigstens die ersten Stufen zu einer geläuterten Marktwirtschaft erklommen hat, so ist das Verdienst, das dabei Walter Eucken zuzumessen ist, nicht hoch genug zu veranschlagen», schrieb sein Freund Röpke im März 1950, als Eucken während einer Vortragsreise in London plötzlich verstarb.

Nach dem Krieg zog Franz Böhm nach Frankfurt und trat der CDU bei. So begann parallel zu seiner wissenschaftlichen auch seine politische Karriere: Von 1953 bis 1965 war er Bundestagsabgeordneter. Böhm war ein einflussreicher Berater von Erhard, insbesondere in Fragen der Kartellgesetzgebung (es war seine Kompromissversion des Gesetzes, die 1957 verabschiedet wurde), seine Ideen floßen bei der Formulierung des Grundgesetzes ein. Erhard schrieb: „Es ist nicht zu bestreiten, daß ohne Franz Böhm, seine Lehren und Gedanken die Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft viel größeren Widerstand zu überwinden gehabt hätte.“ Darüber hinaus 1952 leitete Böhm (der während der NS-Herrschaft mit einem Disziplinarverfahren überzogen und vom Universitätsdienst suspendiert wurde, weil er gegen die Diskriminierung und Verfolgung der deutschen Juden trat) die deutsche Delegation bei den Wiedergutmachungsverhandlungen mit dem Staat Israel und der  Conference on Jewish Material Claims Against Germany. Böhm spielte eine entscheidende Rolle bei der Sicherstellung von Entschädigungszahlungen und wurde als Abgeordneter einer der Schöpfer der deutschen Wiedergutmachungsgesetzgebung.

Zwei Wissenschaftler, die nie die nie Teil der Freiburger Schule waren, ihr aber stets durch gemeinsame liberale Ideen und persönliche Kontakte verbunden waren – Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow – gerieten aufgrund ihrer Ansichten ins Exil.

Im Exil war Röpke sowohl von der Zensur des Nationalsozialismus als auch von dem Nachkriegsdruck der Alliierten befreit. Während des Krieges erhielt Ludwig Erhard Röpkes von der Gestapo verbotene Bücher als Schmuggelware und verschlang seine Arbeiten über die Marktwirtschaft. Nach dem Krieg pflegte Röpke einen regen Austausch mit Kanzler Adenauer und Wirtschaftsminister Erhard – letzteres entwickelte sich zu einer Freundschaft. Als Gegner jeglicher Art von Kollektivismus und des damit verbundenen politischen Totalitarismus unterstützte Röpke Erhards Politik einer marktwirtschaftlichen Wende, trotz des vorherrschenden sozialistischen oder christlich-sozialistischen Zeitgeistes. So neigte das 1947 in der britischen Besatzungszone angenommene Ahlener Programm der CDU zum „christlichen Sozialismus“ und forderte                      eine teilweise Vergesellschaftung der Großindustrie. Die Sozialdemokraten hielten an einem sozialistischen Kurs fest und befürworteten eine Planwirtschaft, die Besatzungsmächte neigten zur dirigistischen Wirtschaftspolitik, und Vertretern der Großindustrie versuchten, traditionelle deutsche Kartelle zu bewahren. Röpke, der zur der „Brigade Erhard“ gehörte, warnte vor der Schaffung eines bürokratischen Sozialstaats und betonte die Bedeutung von Freiheit und Eigenverantwortung für die Effizienz der Volkswirtschaft.

Alexander Rüstow

Alexander Rüstow, der den Begriff „Neoliberalismus“ prägte, stellte bereits 1932 das neoliberale Programm „Freie Wirtschaft – Starker Staat“, in dem er sich gegen Protektionismus, Subventionen und Kartellbildung aussprach, und für einen Staat, der die Rahmenbedingungen festlegt und sich nicht von organisierten Interessen beeinflussen lässt. 1949 kehrte Rüstow aus dem Exil 1949 nach Deutschland zurück und wurde ebenfalls einer der Berater Ludwig Erhards, der neoliberale Ideen als Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft umsetzte. Erhard widersetzte sich auf jede Weise “der staatlichen Befehlswirtschaft“, die „die jedes Verantwortungs- und Pflichtgefühl, aber auch jeden Leistungswillen ertötet“. „Jedes System, das dem Individuum nicht in jedem Falle die freie Berufs- und Konsumwahl offen läßt“, behauptete Erhard, „verstößt gegen die menschlichen Grundrechte … Es sind aber weder die Anarchie noch der Termitenstaat als menschliche Lebensformen geeignet. Nur wo Freiheit und Bindung zum verpflichtenden Gesetz werden, findet der Staat die sittliche Rechtfertigung, im Namen des Volkes zu sprechen und zu handeln.“

Nataliya Supyan

  25.10.2024